Reich aber sexy
Wissenschaftskommunikation zwischen Fachvortrag und InszenierungPeer Group Sessions (PGS) zum gegenseitigen Erfahrungs- und Wissensaustausch sind fester Bestandteil bei NextGen. Sie wurden bisher so durchgeführt, dass jeweils ein Teammitglied den anderen Kolleg:innen eine sinnvolle Weiterbildung und Kompetenzerweiterung zu einem Thema anbietet. Jetzt erhielten die acht Nachwuchswissenschaftler:innen die Aufgabe, das Format in Form von Tandem Sessions zu erweitern: Zwei Teammitglieder erschließen ein Thema aus ihren jeweiligen fachlichen Blickwinkeln gemeinsam und vermitteln ihren Kolleg:innen Grundlagen und Erkenntnisse in Form einer interdisziplinär entwickelten Lehreinheit.
Das Thema für eine Tandem PGS im Team Jens Heinrich und Ruben Wittrin war schnell gefunden: Kann eine wissenschaftliche Präsentation reich an korrekten Inhalten, aber gleichzeitig auch attraktiv visualisiert, inszeniert und kurzweilig für das Publikum sein? Wie können Forschende und Lehrende diese Zielsetzung durch Einsatz von didaktischen Mitteln, attraktiven Medien, Spannungskurven oder auch Storytelling erreichen?
Aus unseren unterschiedlichen beruflichen Herkünften (Heinrich: Inszenierungs- und Medienpraktiker, Wittrin: Wirtschaftswissenschaftler) sind uns diese Fragestellungen wichtig geworden, und wir nahmen uns vor, uns damit intensiv zu beschäftigen und dem heterogenen NextGen Team die Notwendigkeit, den Mehrwert und konkrete Tipps für die gestalterische Anreicherung oder auch Inszenierung zeitgemäßer Wissenschaftskommunikation zu vermitteln.
Denn Wissenschaftskommunikation hat die Aufgabe, mit klarer Zielsetzung einer definierten Zielgruppe auch komplexe Sachverhalte und Erkenntnisse interessant, verständlich und überzeugend zu vermitteln. Sowohl in der Lehre als auch bei der Vorstellung von Forschungsvorhaben oder deren Ergebnissen, z. B. vor Fördermittelgebern oder der Scientific Community sollen dabei einerseits Genauigkeit und Richtigkeit nicht beeinträchtigt werden. Andererseits erfordern veränderte Rezeptionsumgebungen und Zielgruppen ein harmonisches Gleichgewicht zwischen Fakten, Einordnungen und zielgruppengerechter Inszenierung. Auf Konferenzen, bei der Präsentation von Vorhaben, in Medien oder auch als Prüfungsform ist das Pitchen eine inzwischen verbreitete Bezeichnung für möglichst überzeugende Kurzpräsentationen. In Zeiten von eher kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen (Lorenz-Spreen, P. et al. 2019: Accelerating Dynamics of Collective Attention, Nature Communications) treten Lehrende und Forschende dabei auch in Konkurrenz zu aufwändig aufbereiteter und kurzweilig präsentierter Wissenschaftskommunikation in (sozialen) Medien (Impulse zu diesem Thema: Humboldt Communication Lab).
Angelehnt an die Formulierung des ehemaligen Bürgermeisters Klaus Wowereit, Berlin sei „zwar arm aber trotzdem sexy“ (Focus Money, 2003) formulierten wir den Titel unserer Peer Group Session: Reich aber sexy - Wissenschaftskommunikation im Spannungsfeld zwischen sachlichem Fachvortrag und emotionaler Inszenierung.
IDEE
Pragmatischer Vollblutwissenschaftler trifft kreativen Inszenierungsprofi.
Konzept
Die Peer Group Session wird formatiert als Wechselspiel zwischen schauspielerischen Inszenierungs- und fachlichen Lernsequenzen: Als Protagonisten unterhaltsamer, und humorvoll-überzeichneter Spielszenen treffen die Autoren in der Rolle der gegensätzlichen Archetypen Vollblutwissenschaftler („Datenfetischist“ Wittrin) und Inszenierungsprofi („Medienfuzzi“ Heinrich) wiederholt aufeinander und vertreten dabei unterschiedliche Einstellungen in Bezug auf Wissenschaftskommunikation und deren Inszenierung. Sie reflektieren ihre konträren Einstellungen und gemeinsamen Erkenntnisse und vermitteln dann in den Lernsequenzen Ansätze und konkrete Umsetzungstips für zeitgemäße Wissenschaftskommunikation für verschiedene Zielgruppen.
So sollen unterschiedliche Ansichten zum Thema Wissenschaftskommunikation und deren Inszenierung antizipiert und in bewusst überzeichneter, humorvoller und damit unterhaltsamer Form gegenübergestellt werden. Es soll dabei deutlich werden, dass in Zeiten von Social Media, zunehmender Digitalisierung und Medialisierung einerseits erforderlich ist, Wissenschaftskommunikation aktuellen Seh- und Rezeptionsgewohnheiten anzupassen, sie verständlich und attraktiv zu visualisieren und zu kommunizieren. Dass aber andererseits auch die Gefahr besteht, dass wissenschaftliche Inhalte zu stark vereinfacht oder schlicht falsch dargestellt werden („Eventisierung“ und fehlgeleitete „Verpackungskunst“ in der Wissenschaftskommunikation statt fachgerechter Kommunikation, dazu erste Erfahrungen mit KI, wie ChatGPT).
Die inszenierte Kontroverse der Protagonisten führt zu einem Konsens über Ziele und Intentionen zeitgemäßer Wissenschaftskommunikation: Es besteht die Notwendigkeit, Wissenschaft „sauber“, nämlich sachlich korrekt und inhaltlich belegt zu kommunizieren. Andererseits bietet es Vorteile und Mehrwerte, eigene Inhalte und Erkenntnisse zielgruppen- und mediengerecht zu visualisieren und attraktiv zu inszenieren: „Reich aber sexy!“
Die konstruktive und sachliche Reflexion im Wechselspiel der Akteure mündet in fünf konkrete Erkenntnisse und daraus abgeleitete Best practice Methoden, die dem Publikum in Form von Tipps präsentiert und in ihrer Anwendung demonstriert werden.
Umsetzung
Aus unserer Sicht als Lehrende aber auch Lernende in diesem Projekt konnten wir unser Konzept erfolgreich in die Realität überführen: Obwohl wir die Präsentation inklusive schauspielerischer Szenen, konkreter Umsetzungsbeispiele und vielfältigem Medieneinsatz vorher nicht geprobt hatten, gelang es, die Tandem Peer Group Session innerhalb 60 Minuten auf den Punkt durchzuführen und damit genug Raum für die anschließende Diskussion im Team zu lassen.
In der Feedbackrunde und im persönlichen Anschlussgespräch mit Teilnehmer:innen der Session kam zum Ausdruck, dass der Mehrwert verstärkt inszenierter Wissenschaftskommunikation verstanden wurde. So wurden Details der Präsentation, die besonders positiv aufgefallen waren oder für erhöhte Aufmerksamkeit gesorgt hatten, wiederholt angesprochen:
- Aufmerksamkeitsstarkes, weil überraschendes, humorvolles und unterhaltsames Intro mit inszenierter Charakterzeichnung der Protagonisten.
- Als spannend und motivierend empfundenes Wechselspiel zwischen den inszenierten Szenen einerseits und den sachlichen, wissenschaftlich hintersetzten Abschnitten andererseits.
- Strukturierung und Inszenierung der Hauptbotschaften im Stil zeitgemäßer Social Media Formate (die Akteure sprechen mit übertriebener Geste zum Publikum gemeinsam: „Unser Tipp... - Nummer zwei!“ - begleitet durch einen medialen Thementrailer mit Audiojingle)
Ergebnis und Feedback
Zielsetzung der Tandem PGS seitens der Projektleitung ist: Das neue Format soll sowohl für die Co-Autoren als auch das Team als Zielgruppe einen Mehrwert haben. Das gewählte Thema soll aus den verschiedenen fachlichen Perspektiven der Lehrenden betrachtet werden und damit für die Lernenden intensiver reflektiert und umfassender dargestellt werden. Im Rahmen der Vorbereitung ergaben sich dementsprechend für uns als Lehrende ebenfalls klar wahrnehmbare Lerneffekte:
- Die Interdisziplinarität sorgte für eine reflektiertere und auch intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik. Gerade die Inszenierungsform eines humorvollen Rollenspiels als Gegenspieler mit konträren Ansichten verschaffte uns in der Vorbereitung wichtige Einsichten in die Intentionen und Haltungen des jeweils anderen. Die Synthese von akkurater Wissenschaftswiedergabe und zielgruppengerechter Inszenierung sorgte bereits beim Entwickeln der Inhalte für Lerneffekte. Das ließ sich so auch der Zielgruppe vermitteln.
- Das Tandemformat mit gemeinsamem Thema und Auftritt erforderte bei Konzeption, Vorbereitung und Präsentation der Session konsequent kollaboratives Arbeiten. Trotz hoher anderer Arbeitsbelastungen, Lehrdeputat und auch Krankphasen musste bei Themenrecherchen, Formatierung, Präsentationsgestaltung und Auftritt Einigkeit herrschen und möglichst effizient zusammengearbeitet werden.
Laut Aussage der Teilnehmer:innen wurde die Session als inspirierend und nützlich empfunden - und sie habe auch einfach Spaß gemacht.
„Ich fand das so super, wie ihr dann so emotional miteinander diskutiert habt, und dann kam da auch direkt die passende Schrift und Grafik dazu rein, und dann ging das direkt flüssig weiter…“
„Es war ein Erlebnis.“
Anschließendes Feedback aus dem TeamLearnings und Ansätze für die Zukunft
Nachträgliche Reflexionen der Session mit der Referentin Hochschuldidaktik an der HSMW, Susan Lippmann, und der Projektleiterin Angela Freche rückten Verbesserungspotenziale in den Fokus: In der direkten Feedbackrunde der Session wurden vor allem kreative, grafische oder medientechnische Inszenierungsdetails diskutiert. Die Behandlung konkreter Umsetzungsfragen überlagerte dadurch die Diskussion über grundsätzliche persönliche Ansichten, Bedarfe oder Einschränkungen hinsichtlich Wissenschaftskommunikation. Eine solche mit steuernden Impulsfragen stärker moderierte Diskussion wäre sinnvoll gewesen - auch als Überleitung zu einem idealerweise folgenden Workshop. Dadurch könnte dann auch eine Kontrolle der Lernerfolge stattfinden. Im Rahmen des Formates Peer Group Session ist ein ganztägiger Workshop allerdings nicht vorgesehen.
Das macht aber auch deutlich: Interesse und Motivation für eine aufwändigere Inszenierung von Inhalten seitens der Autor:innen besteht durchaus - dem stehen aber ein zu hoher Zeiteinsatz und fehlende mediale Kompetenz gegenüber. Diese Rückmeldung deckt sich mit den Ergebnissen der Studien Wissenschaftskommunikation in Deutschland (Wissenschaft im Dialog, DZHW, NaWik, 2021) und Confidence in research: researchers in the spotlight (Elsevier und Economist Impact, Umfrage unter 3.000 Forschenden, 2022). Siehe hierzu auch: Wissenschaftskommunikation zwischen Gesellschafts‑, Wissenschafts- und Medienwandel (Fähnrich, 2020).
Hier gilt es aus unserer Sicht, innerhalb von Institutionen und Hochschulen konkrete Angebote zu machen. Das können einfache aber wirkungsvolle Gestaltungsvorlagen (Powerpoint, Plakate, Aufsteller, Banner) sein, die zeitgemäß aktualisiert werden - aber auch Schulungen und Seminare zu innovativer Wissenschaftskommunikation. Ein weiterer Ansatz könnte die feste Institutionalisierung kreativ beratender und unterstützender Creative Labs oder studentisch besetzter und wissenschaftlich begleiteter Agenturlabore sein (vgl. Beitrag Erzähle das Why - Wie Wissenschaftskommunikation von professionellen Erzähl- und Gestaltungsweisen profitiert).
Was ist unser Fazit? Wir haben unsere Erfahrungen nicht nur als hilfreich und zielführend im Sinne einer fachübergreifenden Kooperation wahrgenommen, sondern es hat zusammen einfach Spaß gemacht, ein derartig inszeniertes Lehr- und Lernformat zu entwickeln und „aufzuführen“. Wir möchten in Zukunft dazu weiter zusammenarbeiten und das Format möglicherweise auch in anderen Kontexten einsetzen. Vielleicht gelingt es uns, die Möglichkeiten zeitgemäßer, visualisierter und inszenierter Wissenschaftskommunikation innerhalb und aus Mittweida heraus breiter vorzustellen und noch mehr Kolleg:innen dabei zu helfen, „reich aber sexy“ zu werden.
Making Of (PDF)
Hier können Sie unsere Projektdokumentation und Reflexion zur Konzeption, Vorbereitung und Durchführung der Tandem Peer Group Session herunterladen.
Die Dokumentation legt den Fokus dabei auf das "Making of" der Session und beschreibt Vorgehensweise und einzelne Details, die das kollaborative Arbeiten und die effektive Vorbereitung erleichtert haben.