Lehre / Didaktik

Es ist normal, verschieden zu sein

Julia WinterlichLehre / Didaktik

Es ist normal, verschieden zu sein

Was braucht eine inklusive Schule?
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9. November 2022
Es ist normal, verschieden zu sein.

Richard von Weizsäcker
Ehemaliger Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland

Mit diesem Zitat von Richard von Weizsäcker lässt sich der Inhalt meines Seminars „Eingliederungshilfe“ aus den wählbaren Arbeitsfeldern für Bachelorstudierende der Sozialen Arbeit gut beschreiben. Gemeinsam mit den Studierenden habe ich darin erarbeitet, wie eine Regelschule gestaltet sein sollte, um auf Schüler:innen mit Förderbedarf eingehen zu können. In diesem Beitrag beleuchte ich unsere Ergebnisse anhand des Förderschwerpunkts „Emotionale und Soziale Entwicklung“.

Inklusive Schule statt Förderschule

Seit der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 haben Schüler:innen mit Behinderung oder drohender Behinderung in Deutschland ein Recht auf inklusive Schulbildung. Die Umsetzung der schulischen Inklusion verläuft allerdings schleppend und Kinder mit Behinderung werden weiterhin überwiegend in Förderschulen unterrichtet.

In Deutschland gibt es sieben unterschiedliche Förderschularten mit unterschiedlichen sonderpädaogischen Schwerpunkten:

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Je nachdem in welchem Bereich ein sonderpädagischer Förderbedarf erkannt wird, erfolgt in der Regel, auch 13 Jahre nach der Behindertenrechtskonvention, eine Aufnahme auf eine dieser Förderschulen.

Inklusive Schulsysteme, bei dem Kinder mit und ohne Behinderungen gemeinsam lernen, sind daher nur in einigen wenigen Bundesländern die Ausnahme. Die gemeinsame Gestaltung des Unterrichts ermöglicht allerdings allen Schülern, in besonderer Weise voneinander zu lernen und eine Vielzahl an Erfahrungen zu erlangen. Durch Beobachtungslernen können alle Schüler:innen ihre Verhaltensmuster im Bereich der Kommunikation, der Sprache, der Bewegung und dem sozialen Miteinander erweitern und differenzieren.

Was brauchen die Schulen für die Inklusion?

Im Arbeitsfeld „Eingliederungshilfe“ bin ich mit den Studierenden der Sozialen Arbeit der Frage nachgegangen, wie Schüler:innen mit unterschiedlichen Förderbedarfen in einer Regelschule gemeinsam mit Schüler:innen ohne Behinderung unterrichtet werden können.

Ausgehend vom jeweiligen Förderbedarf haben wir Maßnahmen entwickelt und besprochen, wie inklusiver Unterricht umgesetzt werden kann und wo es eventuell Grenzen im derzeitigen Schulsystem gibt. Exemplarisch soll dies am Beispiel des Förderschwerpunkt „Emotionale und Soziale Entwicklung“  erläutert werden.

Förderschwerpunkt „Emotionale und Soziale Entwicklung“

Dieser Förderschwerpunkt ist durch unangepasstes Verhalten gegenüber Mitschüler:innen und Lehrpersonal gekennzeichnet. In vielen Fällen fällt es den Schüler:innen schwer, soziale Regeln und Normen einzuhalten und adäquat auf Misserfolg oder Kritik zu reagieren. Auf Grund einer fehlerhaften Wahrnehmung und Beurteilung von sozialen Situationen entstehen häufig Konflikte in der Gruppe, auf die teilweise durch unvorhersehbare Affektschwankungen reagiert wird. Im Unterricht fällt es den Schüler:innen oft schwer, längere Zeit konzentriert und aufmerksam zu bleiben, wodurch das Durchhaltevermögen in der Regel herabgesetzt ist.

Vorüberlegungen

Um eine inklusive Unterrichtung in einer Regelschule zu ermöglichen, haben wir diskutiert, wie der Schulalltag angepasst werden müsste, um die Bedarfe aller Schüler:innen zu berücksichtigen. Vor der eigentlichen Bildungarbeit steht bei Schüler:innen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung immer die Beziehungsarbeit. Aus diesem Grund waren sich die Studierenden einig, dass Pädagogen ganz besonders wertschätzend auf die Bedürfnisse und Ressourcen der Schüler:innen eingehen müssen. Erst wenn die betroffenen Schüler:innen die Lehrkraft akzeptieren, können Unterrichtsinhalte besprochen werden.

Wie sollte eine Schule gestaltet sein, um den Förderschwerpunkt „Emotionale und Soziale Entwicklung“ abdecken zu können?

Raumgestaltung

Arbeitsplatz in der Nähe des Lehrerpersonals, Einzelplatz ermöglichen
Lernumgebung sollte reizreduziert und strukturiert sein
Separater Unterrichtsraum mit Tafel (individuelles Fördern und Arbeiten, Rückzugsmöglichkeiten in kritischen Situationen)

Personal

Belastbare Lehrkraft, die eine längerfristige Beziehungsarbeit leisten kann
Förderschwerpunktspezifische Vorbereitung und Begleitung aller Lehrkräfte, Pädagog:innen und Schulsozialarbeiter:innen
Zusammenarbeit mit weiteren, externen Fachkräften

Unterrichtsmanagement

Prinzipien des Classroom-Management  (strukturiert, Unterrichtsgliederung an der Tafel, Schüler:in sollte zu jeder Zeit erkennen in welchem Arbeitsschritt er:sie sich befindet)
In belastenden Unterrichtssituationen Materialien zur Entspannung anbieten (Massagerollen, Wutbälle, Yogamatten)
Ziele aufstellen (Kleinschrittig, Verlauf visualisieren, individuelle Ziele täglich gemeinsam auswerten)
Ressourcen des Schülers bzw. der Schülerin für alle nutzen (loben statt tadeln)
Arbeitsmaterialien anpassen (weniger Aufgaben auf einer Seite, strukturierte Gestaltung)

Unser Fazit

Durch die gemeinsame Diskussion konnten wir feststellen, dass Schulen eine neue Schulkultur und auch einen veränderten Unterricht benötigen. Dadurch werden Schüler:innen mit unterschiedlichen Förderbedarfen in ein angemessenes soziales Umfeld eingebunden, welches ihnen die Gelegenheit gibt, ihr Handeln an den Normen einer weitgehend stabilen sozialen Gruppe zu orientieren.