Lehre / Didaktik

Ein Studiengang für die „Spinnen im Netz“

Inga-Maria EichentopfLehre / Didaktik Leave a Comment

Ein Studiengang für die „Spinnen im Netz“

oder warum eine nachhaltige Zukunft vielseitig ist
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1. Dezember 2023

Wenn man damit beauftragt wird, einen neuen Studiengang für die Generation „Fridays for Future“ zu konzipieren, ist das Fluch und Segen zugleich. Einerseits eröffnet sich die Möglichkeit, etwas völlig Neues zu erschaffen, das das Leben vieler junger Menschen und darüber hinaus auch unsere zukünftige Gesellschaft beeinflussen kann. Andererseits ist es in unserer stark durch Unsicherheiten geprägten Welt sehr schwer, Vorhersagen über die Fähigkeiten zu treffen, die die Menschen in der Zukunft durch alle Krisen tragen können.

In einer Welt, die sich in atemberaubendem Tempo verändert, gewinnen die Unsicherheiten durch den Klimawandel und die zunehmende Relevanz künstlicher Intelligenz an Bedeutung. Diese Dynamiken prägen nicht nur unsere berufliche, sondern auch unsere private Lebenswirklichkeit. Energieabhängigkeiten werden zu zentralen Fragestellungen für die Zukunft von Industrie und Gesellschaft, und es liegt in unserer Verantwortung, diese Herausforderungen interdisziplinär anzugehen.

Dementsprechend vielseitig muss die Ausbildung junger Menschen, als zukünftige Vertreter:innen des Wandels, gestaltet werden. So wird es auch als „fachlicher Nerd“ zunehmend wichtiger, über den Tellerrand zu schauen und unkonventionelle Ansätze zuzulassen.

Generalist:innen stellen flexibel die Weichen

Als Naturwissenschaftlerin, die sich in den letzten Jahren zwischen Technikfolgenabschätzung, Wissenschaftskommunikation und Klimawandelthemen bewegt hat, bin ich der Ansicht, dass vor allem generalistisch gebildete Menschen die immer flexibler werdenden Weichen für eine Zukunft stellen können. Irgendwo zwischen Natur-, Gesellschaftswissenschaften, Ökonomie und Technikentwicklung könnte eine Lösung liegen, um konstruktiv mit dauerhaft veränderten Umweltbedingungen umzugehen. Wenn zusätzlich darauf fokussiert wird, jede (technische) Entwicklung auch im Umweltsystem, mit dem Menschen als dessen Teil, zu denken, kann eine echte Neuerung der Mensch-(Um-)Welt-Beziehung gelingen.
Generalist:innen werden die Schnittstellen sein, die es braucht, um neue gedankliche Verbindungen und neue, variable Lösungsansätze zu finden.

Das soll jedoch nicht bedeuten, dass keine Menschen mit sehr spezifischem Fachwissen mehr benötigt werden. Ganz im Gegenteil – Spezialist:innen vertiefen unser Verständnis und ermöglichen technologische Durchbrüche. Sie sind die Expert:innen in ihren spezifischen Teilbereichen und ihr Wissen ist unverzichtbar, um komplexe Probleme zu lösen. Doch gleichzeitig dürfen wir nicht die Chancen aus den Augen verlieren, die sich durch interdisziplinäre Ansätze eröffnen.

Generalist:innen sind die "Spinnen im Netz". Sie überblicken idealerweise die verschiedenen Fachbereiche eines Unternehmens oder einer NGO und vernetzen die richtigen Fragestellungen mit den richtigen Personen. Es sind Menschen, mit breit gefächertem Interesse an verschiedenen Feldern und persönlichen Fähigkeiten, die diese flexiblen Positionen besetzen. Gerade in den Naturwissenschaften sind Generalist:innen eher selten, werden aber für das systemische Verständnis der Welt gebraucht.

Ein Studium, das Disziplinen vernetzt

Dabei hängt die berufliche Ausrichtung nach dem Studium stark von der Wahl zwischen Wirtschaft und Wissenschaft ab. Wissenschaftler:innen wechseln nur selten die Disziplinen, während Angestellte in der Wirtschaft sich mit dem Unternehmen entwickeln und aufgrund der Umstände gelegentlich zu Generalist:innen werden. Diesen Prozess wollen wir durch die multidisziplinäre Ausrichtung des neuen Bachelorstudiengangs „Climate Change Management“ (Arbeitstitel) an der Hochschule Mittweida bereits im Studium ein Stück weit vorantreiben, um Absolvent:innen eine breitgefächerten Expertise für eine nachhaltige Anpassung an den Klimawandel mit auf den Weg zu geben.

In der VUKA-Welt* mit vielfältigen Krisen und transformatorischen Größen wie Digitalisierung und Klimawandel verändern sich die Anforderungen und erfordern Querschnittsdenken, um diese Herausforderungen zu bewältigen und Potenziale zu nutzen. Sowohl Spezialist:innen als auch Generalist:innen haben auf verschiedenen Feldern ihre Berechtigung und ergänzen sich gegenseitig. In der Welt von morgen werden wir mehr denn je auf die Zusammenarbeit von Generalist:innen und Spezialist:innen angewiesen sein, um die komplexen Probleme im Bereich Nachhaltigkeit und Klimawandel anzugehen. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, diese Synergien zu nutzen und so einen nachhaltigen Wandel voranzutreiben.

*Die Abkürzung VUKA steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambivalenz. Der Begriff beschreibt eine stark veränderliche Welt mit multiplen Unsicherheiten, wie z.B. durch den Klimawandel, politische und soziale Umbrüche/Kriege, Unsicherheiten durch die schnelle Entwicklung von KI-Systemen, (widersprüchliche) Vielfalt von Informationen etc.

(Quelle: Erich R. Unkrig, Mandate der Führung 4.0 – Agilität, Resilienz, Vitalität; Springer Gabler (2020); S. 6-12; https://doi.org/10.1007/978-3-658-28492-3)

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