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Schutzkleidung aus dem 3D Drucker

Hagen BankwitzForschung / Transfer Leave a Comment

Schutzkleidung aus dem 3D Drucker

von der Forschungsidee bis zum Produkt
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11. Januar 2024
Die Zunahme von Gewalt gegen Einsatzkräfte ist ein beunruhigendes Phänomen, das sich in den letzten Jahren verstärkt hat. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Polizei, sondern erstreckt sich auch auf Mitarbeitende von Feuerwehren und Rettungsdiensten. Umso wichtiger wird die Entwicklung vielseitig einsetzbarer, leichter und dennoch zuverlässiger Schutzbekleidung für Einsatzkräfte. Der 3D Textildruck bietet eine innovative Möglichkeit, flexible und widerstandsfähige Strukturen direkt auf dem Textil additiv zu fertigen, die den hohen Anforderungen gerecht werden können.

Potenzial der additiven Fertigung

Die Comazo GmbH + Co. KG, ein langjähriger Projektpartner der Hochschule Mittweida, berichtete darüber, dass die bisherige Schutzausrüstung, insbesondere die Unterwäsche, an ihre Grenzen in Bezug auf ihre Schutzwirkung stößt. Aufgrund meiner Erfahrung mit gedruckten Strukturen auf Textilien wurde mir schnell klar, dass 3D Textildruck eine Lösung bieten kann. Partiell verstärkte, additiv hergestellte multifunktionale Strukturen sollten dazu in der Lage sein, den Schutz vor Splittern, Stich- und Schnittverletzungen erheblich zu verbessern. Gleichzeitig könnten sie eine bisher nicht vorhandene Kombination aus hoher Atmungsaktivität, Langlebigkeit und Komfort bieten.
Die Comazo GmbH + Co. KG mit Sitz in Albstadt ist ein mittelständiges Familienunternehmen und hat sich als Experte für Arbeits- und Schutzwäsche etabliert. Zu ihren Kunden gehören verschiedene Industrieunternehmen, das Militär, die Feuerwehr oder Polizei und Spezialeinheiten.

Vom Schuppenpanzer zur innovativen Schutzstruktur

Um ein Material, das den Anforderungen an den Schutz von Einsatzkräften in gewaltintensiven Situationen gerecht wird, entwickeln zu können, bedarf es einer Anwendungsforschung. Ich beantragte dafür Forschungsgelder beim Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) der AiF Projekt GmbH, die schnell bewilligt wurden.

Nun stand ich vor der Aufgabe, einen Prototypen zu entwickeln. Dabei hatte ich vier Herausforderungen zu meistern.

Herausforderung 1 – Fixierung des Materials
Nach dem Projektstart wurden die Anforderungen durch den Industriepartner weiter konkretisiert. Im Rahmen des ersten Arbeitspakets habe ich Methoden zur Fixierung des Textils während des Druckvorgangs erarbeitet, umgesetzt und experimentell miteinander verglichen und bewertet. Die Fixierung des Textils stellte eine besondere Herausforderung dar, da das Material aufgrund seiner Struktur eine geringe Steifigkeit aufweist, die aus Komfortgründen auch nach dem Druckprozess beibehalten werden muss. Während des Drucks war es jedoch entscheidend, sicherzustellen, dass das Textil an der gewünschten Position verbleibt, um die Schutzstruktur präzise dort zu platzieren, wo sie benötigt wird.

Herausforderung 2 - Gestaltung der Strukturen

Nachdem ich eine zufriedenstellende Lösung für die Fixierung des Textils erfolgreich implementierte, lag mein Fokus auf der Gestaltung verschiedener Strukturen. Die Gestaltung der Strukturen berücksichtigt den Überdeckungsgrad, also die effektive Abdeckung des darunter liegenden Textils durch die Schuppenstrukturen, um einen optimalen Schutz zu gewährleisten. Die Flexibilität der Strukturen spielt eine entscheidende Rolle, um sicherzustellen, dass die Gesamtkonstruktion trotz der Schutzmechanismen angemessen flexibel und beweglich bleibt. Dies ist besonders wichtig, um der Person, die die Schutzkleidung trägt, uneingeschränkte Bewegungsfreiheit zu ermöglichen.

Weiterhin wurde die Druckbarkeit der entworfenen Strukturen sorgfältig untersucht, um sicherzustellen, dass sie mit den gewählten Fertigungsprozessen kompatibel sind. Dabei wurden verschiedene Parameter, wie Drucktemperatur, -geschwindigkeit oder Abstand der Düse zum Textil berücksichtigt, um eine effiziente und präzise Umsetzung der Strukturen zu gewährleisten. Der Gesamtprozess der Strukturuntersuchung verlief iterativ, mit der Erstellung, dem Druck und dem Testen verschiedener Designs auf ihre Leistungsfähigkeit. Dies ermöglichte eine kontinuierliche Optimierung der Strukturen, um sie bestmöglich an die spezifischen Anforderungen anzupassen.

Die Inspriation
Der Schuppenpanzer des Schuppentiers

Herausforderung 3 – Wahl des Materials

Gleichzeitig erfolgte eine umfassende Analyse potenzieller Materialien bzw. Materialkombinationen sowohl für die Textilien als auch für den zu verdruckenden thermoplastischen Kunststoff. Diese mehrschichtige Materialbetrachtung war entscheidend, um sicherzustellen, dass die Gesamtkonstruktion nicht nur die gewünschten Schutzeigenschaften aufweist, sondern auch den Anforderungen an Haftung am Textil, Haltbarkeit, Flexibilität und Druckbarkeit gerecht wird.

Für die Textilien wurden von unseren Projektpartnern verschiedene Materialien hinsichtlich ihrer Eigenschaften wie Schnitt- und Stichschutz, Atmungsaktivität, Flexibilität und Tragekomfort analysiert. Die Auswahl basierte darauf, eine optimale Balance zwischen Schutz und Benutzerfreundlichkeit zu gewährleisten. Bei der Analyse der Materialien für den zu verdruckenden thermoplastischen Kunststoff standen Aspekte wie Druckbarkeit, Schichtadhäsion auch zwischen Textil und additiver Struktur und strukturelle Integrität im Vordergrund. Es war entscheidend, ein Filament zu finden, das nicht nur die gewünschten Schutzstrukturen präzise umsetzen kann, sondern auch den Anforderungen des 3D-Druckprozesses standhält. Auch die Kombination zweier thermoplastischer Kunststoffe wurde untersucht.

Herausforderung 4 – Optimierung des Druckprozesses
Mit den ersten definierten Geometrien und den potenziellen Materialpaarungen wurde der Druckprozess systematisch entwickelt. Hierbei lag mein Fokus darauf, eine präzise Umsetzung der Schutzstrukturen unter Berücksichtigung der gewählten Materialien zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Entwicklungsphase wurden die notwendigen Druckparameter identifiziert, um eine optimale Schichtbildung, Haftung und strukturelle Integrität während des 3D-Druckprozesses zu gewährleisten. Iterative Testläufe und Feinabstimmungen der Druckparameter ermöglichten es, die bestmögliche Balance zwischen Druckqualität, Effizienz und Materialverbrauch zu finden.
Schuppenstruktur Version 1
Druckvorbereitung
Schuppenstruktur Version 1
Druckergebnis
Schuppenstruktur Version 2
Druckvorbereitung
Schuppenstruktur Version 2
Druckergebnis

Prototypen eines Halsschutzes und eines T-Shirts

Abschließend wurden mehrere Prototypen realisiert, um die Anwendungsmöglichkeiten zu demonstrieren. Im ersten Fall wurde die Schutzstruktur direkt auf einen Halsschutz gedruckt. Diese direkte Integration zeigt die Vielseitigkeit der Lösung und ihre Fähigkeit, gezielt auf spezifische Schutzanforderungen einzugehen. Als zweites Beispiel wurde ein T-Shirt entwickelt, bei dem ein Patch vorher mit der Schuppenstruktur bedruckt wurde. Dieses Konzept veranschaulicht die Flexibilität unserer Technologie, Schutzmechanismen in unterschiedlichen Formen und auf verschiedenen Textilien zu implementieren. Die verschiedenen Prototypen verdeutlichen die breite Palette von Einsatzmöglichkeiten und Anpassungsfähigkeit unserer innovativen Schutzstruktur.
Halsschutz der Einsatzkräfte mit gedruckter Schuppenstruktur zum Schutz vor Schnitt- und Stichverletzungen
T-Shirt
mit partiell integrierter gedruckter Struktur zum Schutz vor Schnitt- und Stichverletzungen (nachträglich gefügt)
Nahaufnahme

Schnitt- und Stichtests an den Materialen

Für die systematische Überprüfung der entwickelten Schutzstrukturen und Textilien erstellte ich ein umfassendes Versuchsprogramm. Dabei wurden spezifische Testverfahren wie Schnitt- und Stichtests sowie Schälversuche berücksichtigt, um die Leistungsfähigkeit und Schutzeigenschaften des Systems unter realen Bedingungen zu evaluieren. Die getesteten Strukturen erfüllten eine hohe Schutzklasse beim Schnitt- und Stichtest. Im Schnitttest wurde die maximale Schnittfestigkeit erreicht, während im Stichtest die zweithöchste Festigkeit erzielt wurde.

Ergebnisse der Tests und Ausblick

Das Projekt wurde erfolgreich bis zum finalen Prototyp abgeschlossen. Das Unternehmen übernimmt nun die Vermarktung und gegebenenfalls die weitere Entwicklung des Produkts. Die Hochschule ist in diesem Prozess nicht mehr aktiv eingebunden.

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