Lehre / Didaktik, Peer Group

Lehren mit Persönlichkeit

Monja SteinigkePeer Group, Lehre / Didaktik Leave a Comment

Lehren mit Persönlichkeit

Uns selbst verstehen, um unsere Studierenden besser zu erreichen
24. Juni 2025
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und
Jill Deschner-Warner

Was macht uns eigentlich aus, wenn wir lehren?

Warum erreichen manche Dozierende ihre Studierenden mühelos, während andere trotz Fachkompetenz auf taube Ohren stoßen? Die Antwort liegt oft weniger im Inhalt als im Wer – also in der Persönlichkeit.
Diesem Thema haben wir (Jill Deschner- Warner und Monja Steinigke) unsere Peer-Group-Session (PGS) gewidmet, von der wir in diesem Blogbeitrag berichten möchten.

Persönlichkeit

Persönlichkeit beschreibt, was uns Menschen individuell macht. Sie beeinflusst, wie wir denken, fühlen, handeln – und wie wir Beziehungen gestalten oder auf Herausforderungen reagieren.
Das bekannteste wissenschaftliche Modell zur Beschreibung von Persönlichkeit ist das Big-Five-Modell, das fünf zentrale Merkmale unterscheidet:

Offenheit für Erfahrungen

Gewissen­haftig­keit

Extraversion

Verträglich­keit

Neuro­tizismus
Diese differenzierte Erfassung macht das Modell sehr präzise – allerdings ist es in der Praxis oft aufwendig, insbesondere wenn es um die individuelle Anpassung von Kommunikation und Lehrmethoden geht.

Das DISC-Modell

Ein pragmatischerer Ansatz ist das DISG- oder DISC-Modell, das auf William Moulton Marston (1928) zurückgeht. Es kategorisiert Persönlichkeitsverhalten in vier Hauptdimensionen, die bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sind:

  • Dominanz – extravertiert, ergebnisorientiert, entscheidungsfreudig, durchsetzungsstark
  • Initiative – kontaktfreudig, optimistisch, überzeugend, spontan
  • Stetigkeit – ruhig, empathisch, hilfsbereit, harmoniebedürftig
  • Gewissenhaftigkeit – strukturiert, präzise, sachlich, analytisch

Dominanz

Aufgaben-/Ergebnisorientiert

Übernimmt Kontrolle

Trifft schnell Entscheidungen

Anspruchsvoll

Unsensibel

Initiative

Menschenorientiert

Kontaktfreudig

Optimistisch

Teamorientiert

Impulsiv

Stetigkeit

Besonnen

Verträglich

Rücksichtsvoll

Nachsichtig

Unentschlossen

Gewissenhaftig­keit

Kritisch

Detailverliebt

Strukturiert

Diplomatisch

Empfindlich

Obwohl jeder Mensch alle vier Dimensionen in sich trägt, dominieren meist ein oder zwei deutlich.

Kritiker bemängeln, dass das Modell stark vereinfacht, sich ausschließlich auf Selbsteinschätzung stützt, auf überholten wissenschaftlichen Grundlagen basiert und nicht ausreichend validiert ist.
Auch wenn Menschen in der Realität komplexer sind und die strikte Denkweiße in vier Typen Schubladendenken fördern kann, bietet das DISC-Modell dennoch einen ersten Ansatz zu der Erkenntnis, dass unterschiedliche Menschen unterschiedliche Arten der Kommunikation brauchen und bevorzugen.

Diese Einführung war Thema unserer PGS.

Kommunikation mit DISC-Typen

Zu Beginn der Einheit sollten sich die Teilnehmenden mithilfe einer Tabelle und eines Tests zunächst selbst einem der vier DISC-Typen – symbolisiert durch Farben – zuordnen.

Anschließend fanden sich alle Personen mit derselben Farbe in Gruppen zusammen und bearbeiteten folgende Aufgabe:
„Dass alle Studierenden alles verstehen …“ – vervollständigen Sie diesen Satz.

Die Ergebnisse sorgten für einige Lacher:
Die „rote“ Gruppe, bekannt für ihren anspruchsvollen und direkten Stil, rief sofort nach der Aufgabenstellung in die Runde:
„… ist unrealistisch!“
Die „grünen“ Teilnehmenden ergänzten sanft:
„… das wäre schön, ist aber schwierig.“

Diese Übung zeigt eindrucksvoll: Unterschiedliche Typen kommunizieren auf unterschiedliche Weise.
Wer in der Lage ist, sich auf verschiedene Kommunikationsstile einzustellen, kann nicht nur die Zusammenarbeit produktiver gestalten, sondern auch stärkere und respektvollere Beziehungen aufbauen.

Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über Dos and Don'ts in der Kommunikation mit den jeweiligen DISC-Typen.

Dos

Dominanz

Aufgaben-/ Ergebnisorientiert

Sei direkt

Kommuniziere kurz und knapp

Vermeide Persönliches

Sprich in Kernbotschaften

Initiative

Menschenorientiert, Kontaktfreudig

Erkläre es einfach/ bildlich

Mach es einfach

Biete Alternativen/ Möglichkeiten an

Sei locker und optimistisch

Zeige Begeisterung

Stetigkeit

Besonnen, Verträglich

Baue Persönliches ein

Gib deinem Gegenüber Zeit, dräng ihn/sie nicht

Baue Vertrauen auf

Sei freundlich und
warm

Erkläre, was wie/ warum vorgeht

Gewissenhaftig­keit

Strukturiert, Detailverliebt

Bleib sachlich

Nenne viele Zahlen und prüfbare Fakten

Strukturiere gut

Glänze mit Backgroundwissen

Don'ts

Dominanz

Aufgaben-/ Ergebnisorientiert

Vorsichtiges oder emotionales Auftreten

Über Dinge reden, die mit der Sache nichts zu tun haben

Unorganisiert wirken

Mit sozialem Austausch beginnen

Initiative

Menschenorientiert, Kontaktfreudig

"Wilde" Ideen generell zurückweisen

Barsch und kurz angebunden sein

Detailversessenheit

Lange Erklärungen

Negative, pessimistische Äußerungen

Stetigkeit

Besonnen, Verträglich

Forderndes oder autoritäres Auftreten

Druck, Hektik verbreiten

Nicht aufmerksam sein

Ausschließlich über Geschäftliches reden, ohne persönliche Note

Gewissenhaftig­keit

Strukturiert, Detailverliebt

Schlampig oder unorganisiert wirken ("Ich muss das eben noch raussuchen")

Im Gespräch hin und her springen

Small Talk

DISC in der Praxis

Lehren mit Selbstbewusstsein
Eines der wertvollsten Erkenntnisse aus dem DISC-Modell ist die Förderung der Selbstreflexion. Es hilft uns, unsere natürlichen Stärken im Lehralltag zu erkennen – aber auch unsere blinden Flecken.
Ein Beispiel: Wer stark dem D-Stil (Dominanz) entspricht, ist häufig besonders gut darin, klare Ziele zu setzen und das Tempo in einer Lehrveranstaltung vorzugeben. Dieser direkte, zielorientierte Ansatz kann jedoch ungewollt Studierende überfordern, die mehr Zeit benötigen, um neue Inhalte zu verarbeiten. Der eigene Wunsch nach Effizienz kann – oft unbemerkt – Druck oder sogar Stress auslösen.
Durch ein besseres Verständnis des eigenen DISC-Profils können Lehrende innehalten, reflektieren und ihren Stil anpassen – nicht indem sie sich verbiegen, sondern indem sie bewusster mit den Auswirkungen ihres Lehrverhaltens auf unterschiedliche Lerntypen umgehen.

Den eigenen Stil an die Studierenden anpassen
Das DISC-Modell dient nicht dazu, Menschen in Schubladen zu stecken – weder Lehrende noch Lernende. Es geht vielmehr um Anpassungsfähigkeit: die Fähigkeit, den eigenen Kommunikationsstil, Diskussionsführung und Erwartungshaltung auf die jeweilige Situation und Personengruppe abzustimmen.

Einige praxisnahe Beispiele aus unserer Session:

  • Eine Lehrperson mit hohem I-Anteil (Einfluss) bevorzugt vielleicht spontane Diskussionen und dynamische Gruppenarbeit. Doch für Studierende mit einem stärkeren C- (Gewissenhaftigkeit) oder S-Profil (Stetigkeit) kann dieses spontane Vorgehen unstrukturiert und überfordernd wirken. Eine klarere Struktur und transparente Erwartungen schaffen hier Ausgleich.
  • Ein S-Typ (Stetigkeit) bringt viel Einfühlungsvermögen mit, tut sich aber eventuell schwer, sich in einer unruhigen Gruppe durchzusetzen. Das frühzeitige Erkennen dieses Musters kann helfen, im Vorfeld Strategien zu entwickeln, um mit Freundlichkeit, aber auch klaren Grenzen zu führen.
Diese Einsichten sind nicht rein theoretisch – sie beeinflussen ganz konkret, wie wir unsere Lehrveranstaltungen gestalten, wie wir Studierenden Raum geben und wie wir inklusive Lernumgebungen schaffen können.

Zusammenarbeit im Kollegium verbessern
Spannend ist auch: DISC kann nicht nur die Arbeit mit Studierenden bereichern, sondern auch die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen erleichtern. Ob im Teamteaching, bei der Planung von Curricula oder in Projektgruppen – wer die unterschiedlichen Arbeitsstile versteht, kann effektiver kommunizieren und gemeinsam bessere Lösungen entwickeln.
Ein Beispiel: Eine Person mit hohem C-Anteil legt viel Wert auf gründliche, faktenbasierte Entscheidungen. Das kann zu Spannungen führen, wenn eine D-orientierte Kollegin schnelle Ergebnisse bevorzugt. Wenn beide ihre Unterschiede erkennen, entsteht Raum für produktiven Austausch, Kompromisse – und weniger Konflikte.

Was kommt als Nächstes

Aus Erkenntnis wird Handlung

Zum Abschluss der Session erstellten wir eine ganz persönliche „To-do“-Liste – mit konkreten Maßnahmen, wie wir DISC im Alltag anwenden wollen. Keine bloße Zusammenfassung, sondern ein individueller Aktionsplan.

Dazu gehörten unter anderem:

  • Eine Vorlesung so überarbeiten, dass sie sowohl strukturierte Inhalte als auch offene Diskussionen enthält
  • Bewusst langsamer sprechen, um verschiedenen Verarbeitungsgeschwindigkeiten gerecht zu werden
  • Reflektieren, welche Verhaltensweisen von Studierenden bei einem selbst Frust auslösen – und warum
  • Gruppenarbeiten so planen, dass sowohl extrovertierte als auch introvertierte Studierende profitieren

Diese „Hausaufgabe“ half, die Brücke zwischen Theorie und Praxis zu schlagen.

Abschließende Gedanken

Diese Session war weit mehr als das Kennenlernen eines neuen Tools. Es ging darum, sich selbst besser zu verstehen. Das DISC-Modell erinnert uns daran: Gute Lehre folgt keinem festen Schema. Sie ist zwischenmenschlich, flexibel – und tief persönlich.

Als Lehrende (und als Menschen) gehen wir oft stillschweigend davon aus, dass unsere Art zu lehren auch die beste Art zu lernen sei. DISC stellt diese Annahme behutsam in Frage. Es lädt uns ein, die Studierenden dort abzuholen, wo sie stehen – ohne dabei uns selbst zu verlieren. In dieser Balance können lebendige, anpassungsfähige und menschliche Lernräume entstehen.

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