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Only good vibrations?

Inga-Maria EichentopfForschung / Transfer Leave a Comment

Only good vibrations?

Was die Schwingungen einer globalen Luftströmung mit Extremwetterereignissen zu tun haben
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17. Dezember 2024
Mit dem Starkregen in Mitteleuropa sowie extremer Hitze und Waldbränden im Mittelmeerraum sind Extremwetterereignisse in diesem Jahr wieder ein Stück näher an die europäische Lebenswirklichkeit gerückt. Wie sehr das Wetter der mittleren Breiten mit der Wellenbewegung des Jetstream verbunden ist und wie dieser von der globalen Erwärmung beeinflusst wird, zeigen die KI-gestützten Simulationen der Klimaforschenden vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Potsdam.

Jetstream

Die Wellenbewegungen des Jetstream bestimmen die Großwetterlagen auf der nördlichen Erdhalbkugel. (Quelle: NASA/Goddard Space Flight Center Scientific Visualization Studio; Ausschnitt [9])

Das Thema „Jetstream“ begegnete mir das erste Mal, als ich gebeten wurde, an der Hochschule Mittweida eine Ringvorlesung zum Thema „Klimawandel“ zu halten. Das war 2021. Seitdem taucht der Begriff immer wieder in den Wettervorhersagen zahlreicher Fernsehsender auf, um zu erklären, warum ein Sommer über viele Tage gleichbleibend brütend heiß ist oder extreme Regenmengen nur in bestimmten Regionen niedergehen.

Auch in meiner Vorlesung zum Thema Klimawandelfolgen spielt der Jetstream als ein sogenanntes Kippelement im Klimasystem eine wichtige Rolle. Kippelemente sind großskalige Bestandteile des Erdsystems (z.B. Luft- oder Meeresströmungen), die bei steigender Erderwärmung durch nur kleine zusätzliche Störungen von einem für die Menschheit günstigen Zustand in einen neuen ungünstigen Zustand kippen können.

Klimasimulationen zeigen, dass für den Jetstream dieses Kippen bereits bei einer Erderwärmung von 1,5 bis 2°C zu erwarten ist. Das ist (leider) der Bereich, in dem sich die globale Durchschnittstemperatur im Moment bereits bewegt. Im Gesamtzeitraum von Juli 2023 bis Juni 2024 wurde die 1,5°C-Marke 13 Monate infolge überschritten. [12] Das Zeitfenster, um die Erderwärmung durch die Eindämmung der CO2-Emissionen zu stoppen, schließt sich rapide. Das wird immer deutlicher sichtbar - gerade, wenn man die ansteigende Häufigkeit der Extremwetterereignisse betrachtet.

Unser globales „Wettertransportband“ – der Jetstream- lahmt. Das ist eine der ersten Warnungen des Planeten.
Das ist ein Thema, dass auch die Studierenden in der Vorlesung oft nicht loslässt. Aber vielleicht an dieser Stelle zunächst ein paar Erklärungen, was man sich unter dem „Jetstream“ vorstellen kann, wie er durch die Erderwärmung beeinflusst wird und was andere Forschende durch neue Klimasimulationen herausgefunden haben.

Der Jetstream - das unsichtbare Band

Die grundlegenden Prozesse zur Entstehung des Jetstream, dem windigen Förderband für Hoch- und Tiefdruckgebiete, sind lange bekannt. Aufgrund des Temperaturunterschieds zwischen der kalten Arktis und dem warmen Äquator entsteht in etwa zehn Kilometern Höhe ein Luftstrom vom Äquator in Richtung Arktis. Dieser gleicht die temperaturbedingten Druckunterschiede zwischen den beiden Erdteilen aus. [1], [2], [3], [8]

Durch die Rotationsbewegung der Erde fließt die Luft aber nicht geradlinig in Richtung Arktis. Sie wird durch die sogenannte Corioliskraft seitlich abgelenkt, so dass die Luftmassen parallel zum Äquator strömen. Der so entstehende Wind wird Jetstream (deutsch: Strahlstrom) genannt. Er transportiert das Wettergeschehen in einem Ring über der nördlichen Erdhalbkugel von Westen nach Osten. Die Ausbeulungen des Jetstream entstehen dabei durch die unterschiedliche Aufheizung von Landmassen, Gebirgen und Ozeanen. [3], [4]

Corioliskraft

Die Corioliskraft ist eine Kraft, die auf Teilchen (z.B. Luftteilchen oder Luftströmungen) wirkt, die sich in einem rotierenden System (z.B. der Erde) nicht parallel zur Rotationsachse (z.B. der Erdachse) bewegen. Wenn Luftteilchen vom warmen Äquator zum kalten Nordpol („nach oben“) strömen, wird ihre Bewegung nach rechts abgelenkt. Sie bewegen sich also nicht gerade auf den Nordpol zu, sondern werden durch die Corioliskraft von West nach Ost abgelenkt. Das bewirkt, dass die Ausgleichströmung vom Äquator zu den Polen, mehr oder minder perfekt, parallel zum Äquator verläuft.

Auf der Südhalbkugel wird die Luft, die vom Äquator zum Südpol (nach „unten“) fließt, übrigens nach links abgelenkt.

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Die Corioliskraft (orange) bewirkt eine Ablenkung der ausgleichenden Luftströmung (blau) vom Hochdruckgebiet am Äquator zum Tiefdruckgebiet am Nordpol.
Dieses System wird jedoch durch die globale Erwärmung gestört. In Folge des Klimawandels erwärmen sich die Pole, bezogen auf den Rest des Planeten besonders schnell. Dadurch wird die Temperaturdifferenz zwischen Arktis und Äquator geringer und die Ausgleichsströmung zwischen den Extremen verliert an Schwung. Damit verlangsamt sich auch das Förderband des Jetstream. Zudem gerät er leichter in Schwingungen. Somit bleiben die Wellen und die damit verbundenen Wetterlagen länger an einem Ort und können zu Extremwetter wie Überschwemmungen oder langen Hitzeperioden führen. Seit 1999 ist ein zunehmendes Stocken der Wellen zu beobachten. [4]

Aber ist das wirklich mit dem Klimawandel zu erklären?

Ja, sagt das internationale Forschungsteam um Erik Romanowsky vom Alfred-Wegner-Institut (AWI) in Potsdam. [5], [7] Das zeigt das neue Modell. Das Zusammenspiel zwischen dem schwindenden arktischen Meereis führt zu stärkeren Wellenbewegungen des Jetstream und zu einer Erwärmung der Stratosphäre über dem Pol. Diese wird durch das Ozon noch gefördert. In früheren Klimamodellen konnte die schlangenförmige Bewegung des Polarfront-Jetstreams nicht verlässlich wiedergegeben werden. [6] Damit fehlte auch der Beweis für den Zusammenhang zwischen der Abschwächung des Windes und der Klimaerwärmung. Diesen konnten Forschende mit Hilfe eines Machine-Learning-Algorithmus zur Ozonchemie, den sie in ihre Simulationen zum globalen Klima eingebunden haben, herstellen. [5]

Machine-Learning

Machine-Learning - oder auf Deutsch maschinelles Lernen - beschreibt einen Bereich der künstlichen Intelligenz. Beim Machine Learning werden Computer trainiert mit Hilfe von Rechenabläufen (Algorithmen) und auf Basis von Daten, Muster zu identifizieren und Vorhersagen zu treffen, ohne dass die Computer darauf programmiert werden. Sie üben quasi selbstständig, durch Ausprobieren und Abgleichen mit der Realität, ein wahrscheinliches Ergebnis hervorzubringen. Im Falle des Jetstreams konnte so der Zusammenhang zwischen der Erwärmung der Arktis und einer instabilen Luftströmung  identifiziert werden. Ein bekanntes Beispiel für maschinelles Lernen ist das Sprachmodell von ChatGPT, das darauf trainiert wurde, Wörter in einer wahrscheinlichen Reihenfolge aneinander zu reihen und so (meist) sinnvolle Antworten auf eine Frage zu generieren.
Der Leiter der Atmosphärenforschung des AWI, Markus Rex, erklärt dazu [5]: „Unsere Studie zeigt, dass die Veränderungen im Jetstream zumindest teilweise vom Rückgang des arktischen Meereises verursacht werden. Sollte die Eisdecke weiter schrumpfen, gehen wir davon aus, dass die bislang beobachteten Extremwetterereignisse in den mittleren Breiten in ihrer Häufigkeit und Intensität zunehmen werden.“ Die Forschenden hoffen, dass die neue Technologie zu einem besseren Verständnis der Geschehnisse in der Arktis beiträgt und zu einer präzisen Vorhersage globaler Klimaveränderungen genutzt werden kann.

Kein einfacher Ursache-Wirkungs-Mechanismus

Wir sind also auch in Europa unweigerlich mit den Geschehnissen in der weit entfernten Arktis verbunden. Ein Abschmelzen der Polkappen bringt bei weitem nicht „nur“ einen Anstieg des Meeresspiegels mit sich, sondern wirkt sich darüber hinaus deutlich auf das Wettergeschehen im Mitteleuropa aus. Winter- und Frühjahresdürren wie 2022/2023 im Süden Frankreichs und Spaniens [10], die Probleme bei der Energieversorgung und massive Ernteeinbußen verursachten, oder Fluten durch extremen Regen, wie diesen September in Mitteleuropa [11], könnten mit einem abgeschwächten Jetstream deutlich häufiger auftreten als bisher.

Es ist deshalb wichtig, zu verstehen, dass unsere Erde aus einem System miteinander verbundener Faktoren besteht, dass deutlich komplexer ist als ein einfacher Ursache-Wirkungs-Mechanismus. Das versuche ich den Studierenden in meinen Lehrveranstaltungen immer mitzugeben. Der Jetstream, und das, was die Kolleg:innen vom Alfred-Wegner-Institut nachgewiesen haben, ist dafür nur eines der vielen Beispiele, aber spiegelt dennoch die umfassenden Auswirkungen des menschlichen Handelns sehr gut wieder.

Quellen
[1] Christian-Dietrich Schönwiese; Klimatologie, 2. neubearbeitet und aktualisierte Auflage; Verlag Eugen Ulmer Stuttgart (2003); S. 164-166

[2] Deutscher Wetterdienst – DWD (2014, 05. September). Jetstream (Strahlstrom) [Wetterlexikon, dwd.de].; Datum: 22.10.2024

[3] Wetteronline, Wetterlexikon, Schlagwort: Jetstream; Link: https://www.wetteronline.de/wetterlexikon/jetstream; Datum: 10.2024

[4] Wetterextreme im Sommer 2018 waren verbunden durch stockende Riesenwellen im Jetstream; erschienen am: 29.04.2019, Link: https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/wetterextreme-im-sommer-2018-waren-verbunden-durch-stockende-riesenwellen-im-jetstream; Datum: 10.2024

[5] Erwärmung der Arktis führt zu Wetterextremen in unseren Breiten; https://www.awi.de/ueber-uns/service/presse/presse-detailansicht/erwaermung-der-arktis-fuehrt-zu-wetterextremen-in-unseren-breiten.html ; Datum: 22.10.2024

[6] Mehr Extremwetter durch die Störung gigantischer Luftströme in der Atmosphäre, erschienen am: 11.2018, Link: https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/mehr-extremwetter-durch-die-stoerung-gigantischer-luftstroeme-in-der-atmosphaere?set_language=de ); Datum: 22.10.2024

[7] Romanowsky, E., Handorf, D., Jaiser, R. et al. The role of stratospheric ozone for Arctic-midlatitude linkages. Sci Rep 9, 7962 (2019). https://doi.org/10.1038/s41598-019-43823-1 ; Datum: 22.10.2024

[8] Wie beeinflusst der Klimawandel den Jetstream? Von Dr. Ralf Jaiser (AWI), Jana Kandarr (ESKP) 25.10.2019; Link: https://www.eskp.de/klimawandel/wie-beeinflusst-der-klimawandel-den-jetstream-9351059/ ; Datum: 22.10.2024

[9] Bild: NASA/Goddard Space Flight Center Scientific Visualization Studio; Link: https://svs.gsfc.nasa.gov/3864; Datum: 22.10.2024

[10] European Evironment Agency, What could the summer bring? Is extreme weather the new normal?, published: 14 June 2023; Link: https://www.eea.europa.eu/en/newsroom/news/what-could-the-summer-bring; Datum: 28.11.2024

[11] Internetseite des GFZ, FAQ zum Hochwasser in Mitteleuropa im Sept. 2024, Meldung vom 1.11.24; Link: https://www.gfz-potsdam.de/presse/meldungen/detailansicht/faq-zum-hochwasser-in-mitteleuropa-im-september-2024; Datum: 28.11.2024

[12] ZEIT ONLINE, Globale Erwärmung seit zwölf Monaten in Folge über 1,5 Grad, Beitrag vom 8. Juli 2024, Link: https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2024-07/erderwaermung-zwoelf-monate-1-5-grad-marke ; Datum: 29.11.24

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