Berufserfahrung / Praxisprojekte

Gaining Common Ground

Marie Luise HeuschkelBerufserfahrung / Praxisprojekte Leave a Comment

Gaining Common Ground

Arbeiten im interkulturellen, transdisziplinären Umfeld
9. Juli 2024
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und
Jill Deschner-Warner
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und
Inga-Maria Eichentopf

Herausforderungen und Chancen

in einem vielfältigen akademischen Umfeld

Arbeiten an der Hochschule, heißt Arbeiten in einem von Vielfalt geprägten Umfeld. Dabei treffen Menschen aus verschiedensten Fachrichtungen, thematischen Ausrichtungen und Aufgabenfeldern aufeinander. Was alle eint, ist das Lehren und Forschen wertzuschätzen und voranzubringen. Dabei bilden die Inter- und Transdisziplinarität die verbindenden Aspekte. Das bedeutet Zusammenarbeit an Schnittstellen sowie die Realisierung von Vorhaben in einem disziplinen- und themenvereinenden Kontext.

Was uns alle gleichermaßen bewegt, ist die Herausforderung, sich durch diese Dynamik zu lotsen und dabei Bestrebungen, Interessen und Ziele, einschließlich der eigenen, bestmöglich zu vereinbaren. Weiter gedacht geht es darum, zu verstehen, wann und wie man sich in einen institutionellen Kontext einfügen und wann man Veränderungen vornehmen sollte, sowie darum die notwendigen Schritte herbeizuführen. Es geht außerdem darum, wie eine gemeinsame Basis geschaffen werden kann, um Menschen zur Veränderung zu motivieren und nachhaltig zur Zusammenarbeit zu bewegen. In Teams zusammenzuarbeiten, die aus diversen Mitgliedern bestehen – sei es in Bezug auf Nationalität, Stellung, Alter, fachliche Ausrichtung oder die Unterscheidung zwischen Verwaltung und wissenschaftlichen Mitarbeitenden – stellt dabei eine besondere Aufgabe dar. Die zentrale Frage lautet: Wie kann man alle erreichen und in Veränderungen motivierend einbinden?

Common Ground

Common Ground beschreibt eine gemeinsame Wissensbasis, die Menschen in bestimmten Umgebungen mitbringen. So kann zum Beispiel angenommen werden, dass sie sich verständigen und kooperieren wollen. Mitarbeiter:innen in Unternehmen könnten einen Common Ground darin bilden, dass sie sich wirtschaftlichen Erfolg für ihre:n Arbeitgeber:in wünschen.

Bei Common Ground handelt es sich um ein Modell aus der Sprachwissenschaft und Kommunikationstheorie.

Sensibilisierung und Kompetenzentwicklung

durch interdisziplinäre Zusammenarbeit
Erkenntnisse und Methoden des Change-Managements, der interkulturellen Kompetenz und der Anthropologie können helfen, für diese Problematik zu sensibilisieren und Meta-Kompetenzen zu entwickeln. In einer Peer-Group-Session, die wir für unsere NextGen-Kolleg:innen – durch ihre vielfältigen Themen und Sichtweisen ein repräsentatives Abbild der Hochschule – ausgerichtet haben, wurde genau dies thematisiert. Als durchführendes Team für die Peer-Group-Session verbindet uns im Kern unserer Arbeit die Ausrichtung auf den Menschen, die Beschäftigung mit Meta-Kompetenzen und die Arbeit an interdisziplinären Schnittstellen. Dies bildete die Basis dieser Session. Anhand von Übungsszenarien haben wir Themen und Methoden aus den Bereichen Anthropologie, interkulturelle Kompetenz sowie aus dem Change-Management gemeinsam mit den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern inhaltlich bearbeitet und reflektiert.

Die Basics

Auszüge aus den Disziplinen im Überblick

Anthropologie

Die Anthropologie trägt wesentlich zum Verständnis von interkultureller Zusammenarbeit und Veränderungsprozessen bei, indem sie aufzeigt, wie Menschen ihre Wirklichkeit konstruieren und welche Rolle kulturelle Unterschiede dabei spielen. Sie hilft dabei, Meta-Kompetenzen zu entwickeln, die notwendig sind, um in vielfältigen und dynamischen Umfeldern erfolgreich zu agieren. Durch die Anwendung anthropologischer Erkenntnisse können wir lernen, wie man sich in komplexen sozialen und kulturellen Strukturen zurechtfindet, effektiv kommuniziert und nachhaltige, kooperative Beziehungen aufbaut. Diese Perspektiven sind besonders wertvoll, um Prioritäten zu setzen, Anpassungsstrategien zu entwickeln und eine gemeinsame Basis für erfolgreiche Zusammenarbeit zu schaffen.

Interkulturelle Kompetenz

Ein zentrales Konzept, das in der Session betont wurde, war, dass interkulturelle Kompetenz eine entscheidende Rolle für das erfolgreiche Arbeiten in einem transdisziplinären Team spielt. Anhand des Deardorff-Modells wurde hervorgehoben, dass es für eine bessere Teamharmonie entscheidend ist, aufgeschlossen zu sein und echtes Interesse an den Kulturen der Anderen zu zeigen, um eine effektive Kommunikation und Zusammenarbeit zu fördern. Durch das Verständnis der Gründe hinter verschiedenen Verhaltensweisen können Teammitglieder harmonischer zusammenarbeiten und sich besser anpassen.

Change-Management

Veränderung ist ein zentraler Prozess im Leben jedes Organismus auf der Erde. Damit bleiben auch Institutionen nicht davon verschont. Veränderungsprozesse sind Teil jeder Weitereinwicklung. Deshalb ist ihr Gelingen von zentraler Bedeutung damit sich eine Organisation, wie z.B. eine Hochschule, zukunftsorientiert immer wieder neu ausrichten kann. Dabei ist der Prozess der Planung, Umsetzung und Überwachung von Veränderungen nach John Kotter die Aufgabe, die dem Change-Management zufällt. Um idealerweise alle Personen, die für eine nachhaltige Veränderung wichtig sind (Stakeholder) einzubeziehen und gewinnbringend am Prozess zu beteiligen, ist es wichtig, die persönlichen Positionen bzgl. des Vorhabens zu kennen. Davon ausgehend können Strategien zur schrittweisen Etablierung eines neuen Organisationszustandes entwickelt werden. In der Peer-Group-Session wurde deshalb darauf wertgelegt, die verschiedenen persönlichen Haltungen (nach Dietmar Vahs) zu verstehen und in der Szenario-Übung einzusetzen.

Die Übungsszenarien

Das Problem-Setting für die Übung

Um nach dem theoretischen Input zu allen drei Fachrichtungen zur Anwendung des Gehörten zu kommen, wurde den Seminarteilnehmer:innen ein Übungs-Szenario vorgestellt. Unser Szenario drehte sich um den „Kick-Off-Termin“ zur Gründung eines fiktiven „Instituts für Angewandte Nachhaltigkeit“ an der Hochschule Mittelerda in Sachsen-Anhalt. In Zeiten von geringer Verfügbarkeit von Drittmitteln und hoher Konkurrenz im Hochschulranking soll das neue Institut für Nachhaltigkeit helfen, dringend benötigte Fördermittel zu gewinnen, die der gesamten Hochschule bei Gelingen zugutekommen und damit die Personalsituation verbessern würden. Das Institut soll interdisziplinär arbeiten und in alle (Fach-)Bereiche der Hochschule hineinwirken. Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg ist die Einbindung eines internationalen Kooperationspartners in das Institut für Nachhaltigkeit. Sollte dies nicht gelingen, droht der Hochschule ein Stellenabbau.

Die Erste Übung

In der Übung wurde ein Projektteam damit beauftragt, ein konkretes Projekt für das Institut für Nachhaltigkeit zu konzipieren, mit dem die Projektausschreibung zu gewinnen wäre, vorzustellen. Das Team sollte dieses Change-Projekt sowie die Maßnahmen zu dessen Umsetzung bei verschiedenen Interessensgruppen an der Hochschule erläutern und die Vorteile an der Beteiligung klar machen. Ziel war es, aktiv für Mitwirkung und Mitgestaltung zu werben, anstatt eine reine Informationsveranstaltung abzuhalten. Das Projektteam musste überzeugend darlegen, welche Bedeutung und welchen Nutzen das Projekt und das Institut für Nachhaltigkeit für alle hat, um die Unterstützung und aktive Teilnahme der Hochschulmitglieder zu gewinnen.

Dem Publikum wurden derweil verschiedene charakteristische Rollen zugewiesen (nach Dietmar Vahs: Die Begeisterten, die Abwartenden, die Desinteressierten und die Ablehnenden). Danach gestalteten die Teilnehmer:innen ihre Rollen aus, indem sie die Einstellungen, Erwartungen, Meinungen, Hoffnungen, Ängste und persönlichen Interessen ihrer imaginären Personen festlegten. Nachdem beide Gruppen ihre Aufgaben abgeschlossen hatten, kamen sie wieder zusammen. Dabei stellte das Projektteam seine Lösung zur Gewinnung der Förderung vor und die Teilnehmenden im Publikum reagierten entsprechend ihrer Rolle darauf. Dabei wusste das Projektteam weder, dass Rollen verteilt wurden, noch wer welche Rolle zugewiesen bekommen hatte.

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Dr. Inga-Maria Eichentopf beim Aufzeigen von Haltungen in Change-Prozessen nach Dietmar Vahs
Haltungen in Change-Prozessen nach Dietmar Vahs Quelle: Dr. Boris Schmidt, Digital Change Agent Programm – Workshop 2 (2022)
Die Beobachtung, wie die Teilnehmenden aus ihren Rollen heraus argumentierten, zeigte, wie ein transdisziplinäres Team auf Veränderungsimpulse reagiert und wie sich verschiedene Teamdynamiken entwickeln. Die Übung ermöglichte es den Teilnehmenden, über ihre eigenen Reaktionen und Anpassungen in verschiedenen Situationen nachzudenken. Es wurde deutlich, dass es herausfordernd ist, Menschen in die Projektplanung einzubeziehen, ohne ihre Interessen zu berücksichtigen. Die Übung unterstrich die Bedeutung der interaktiven Kommunikation unter allen Teammitgliedern und betonte die Notwendigkeit, Informationen bereitzustellen, um Input zu bitten, Feedback zu erhalten und Diskussionen zu fördern. Ohne diese interaktive Kommunikation besteht die Gefahr, dass die Aktivität zu einer reinen Informationsveranstaltung wird, bei der beide Seiten ihre Ansichten präsentieren, aber nichts voneinander lernen.

Die Zweite Übung
In der folgenden Übung sollten die Teilnehmenden über die Rollen, die in der ersten Übung verwendet wurden, reflektieren. Dabei wurde jeder Person eine der vier Haltungen (Die Begeisterten, die Abwartenden, die Desinteressierten und die Ablehnenden) zugeordnet. Die Seminarteilnehmenden sollten nun die Eigenschaften und bisherigen Lebens- und Arbeitserfahrungen dieser Personengruppe formulieren, um ihre Motivationen, Interessen und wahrscheinlichen Neigungen gegenüber einem Veränderungsprojekt transparent zu machen. Diese Übung verdeutlichte, wie das Verständnis verschiedener Interessengruppen über den Erfolg oder Misserfolg von Veränderungsprojekten entscheidet, da einige Gruppen schwieriger bzw. anders zu motivieren sind als andere. Letztendlich wurde klar, dass in jedem Vorhaben die zwischenmenschliche Ebene – also die Berücksichtigung der Interessen und Situationen der Beteiligten – vorrangig und fast wichtiger ist als die sachliche Ebene.
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Die erstellten Personigramme der repräsentativen Persönlichkeitstypen

Gaining Common Ground

Eine Meta-Kompetenz und Fundament für erfolgreiche transdisziplinäre Zusammenarbeit

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es für die Arbeit in transdisziplinären Teams wichtig ist, sich auf die Reaktionen und die Teammitglieder vorzubereiten, um diese zu verstehen. Nur so kann bestmöglich auf die Standpunkte der Menschen eingegangen werden, um Harmonie in der Gruppe zu fördern und so den Boden für Veränderungsvorhaben zu ebnen. In unserer ersten Szenario-Übung konnte genau dies beobachtet werden. Die Teilnehmenden der Projektgruppe ignorierten am Anfang die Reaktionen des Publikums und versuchten ihren Plan durchzusetzen. Dies führte zu einer Missstimmung im Team und der Veränderungsvorschlag drohte abgelehnt zu werden.

Das Erlernen von Methoden wie Radical Candor und den Vier Typen menschlichen Verhaltens war ein guter Anfang. Diese Techniken helfen bei der Anpassung an Veränderungen und der Verbesserung der Teamdynamik. Die Umsetzung solcher Strategien führt, geübt und richtig angewendet, zu effektiverer und kohäsiverer Teamarbeit.

Darüber hinaus bieten anthropologische Werkzeuge und Perspektiven einen tiefen Einblick in menschliches Verhalten, Überzeugungen und Interaktionen. Angewandte Anthropologie ermöglicht es, Wandel und Change-Management in verschiedensten Kontexten von Grund auf zu betrachten, indem sie die gelebten Erfahrungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen der betroffenen Personen in den Mittelpunkt stellt. Dieser menschzentrierte Ansatz führt zu effektiveren, nachhaltigeren und empathischeren Managementstrategien.

Durch die Integration von Change-Management, interkultureller Kompetenz und anthropologischen Perspektiven ist es möglich, weitreichende Strategien zu entwickeln, die es uns das Werkzeug geben, in einem vielfältigen und dynamischen Umfeld effektiv zusammenzuarbeiten. Indem wir klare Kommunikation fördern und gemeinsame Ziele definieren und die Perspektiven aller betroffenen Personen berücksichtigen, haben wir die Chance, jede einzelne Person mitzunehmen und zur beteiligten Person zu machen. So schaffen wir gemeinsam neue Grundlagen für eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft.

Jill Deschner-Warner zu Interkultureller Kompetenz
Marie Luise Heuschkel zur Antropologie

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