Komplexität meistern
Meta-Kompetenzen für die moderne ArbeitsweltKennen Sie das Gefühl von Überforderung und Überreizung? Früher soll es mal klar definierte Aufgaben gegeben haben, denen man sich routinemäßig gewidmet hat. Für diese konnte man Strategien entwickeln, mit denen man sich am Berufsalltag entlang hangelte.
Ob Faktum oder Fiktion, heute sind viele Berufstätigkeiten weit davon entfernt. Mehr Lernzeit hat man nicht und trotz lebenslangem Lernen, ist parallel von inhaltlicher Reduktion die Rede. Didaktisch sinnvoll soll diese insofern sein, dass es besser sei, wenn die lebenslang Lernenden überhaupt etwas mitbekommen, statt konfrontiert mit dschungelhafter Komplexität schon anfangs völlig abzuschalten. Jedoch ist die Welt nun Mal komplex. Transfer, Schnittstellendenken und Interdisziplinarität sind mehr denn je gefordert, und werden auch gerne überall aufgenommen - zumindest in Form von vagen Vorstellungen und gut klingenden Zielformulierungen. Dass Transfer nicht so Pi mal Daumen geht, zeigt mir meine Erfahrung als Forensikerin. Die Forensik, das ist im Grunde ein Anwendungsgebiet mit spezifischen Kriterien an Genauigkeit, Zuverlässigkeit und so weiter. Die verwendeten Methoden sind jedoch meist anderen Wissenschaftsgebieten entlehnt - sie werden auf forensische Fragestellungen angewandt. Ohne ein tiefes Verständnis für die ursprüngliche Methode geht dies nicht, denn bei der Übertragung auf einen neuen Anwendungsfall, für den sie nicht konzipiert war, kann so viel schief gehen.
Das heißt, mehr denn je ist man scheinbar gefordert, Generalist und Experte in einem, ein richtiger Hans-Dampf-in-allen-Gassen, zu sein. Über die Vergeblichkeit solch halbherziger Maßnahmen hat jedoch schon Seneca sinniert (in Brief 22 seiner Epistulae morales). Entweder berührt man nie mehr als die Oberfläche oder man verzettelt sich und kommt in beiden Fällen zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis.
Und nun? Es bleibt nur, in den sauren Apfel zu beißen und statt durch einen Spinnenbiss, die Metamorphose zur gewünschten Expertise durch kontinuierliches langfristiges Lernen zu erreichen. Gesagt, doch auch getan? Wie umgehen mit der schieren Masse an Aufgaben und Inhalten? Zurück zum Ruf nach Reduktion. Sinnvolle Vereinfachung will jedoch gelernt sein und beschränkt sich nicht nur auf das Eingrenzen von Inhalten, es bezieht sich genauso auf das Eingrenzen von Aufgaben und Tätigkeiten. Und dafür braucht es Meta-Kompetenzen. Meta? Das ist die Ebene über der Materie, um die es sich drehen soll. Also das, was uns hilft, mit ihr reflektiert umzugehen. Fast schon fatal, möchte man sagen, werden solche übergeordneten Kompetenzen so gut wie immer vorausgesetzt und nie gelehrt.
Aus diesem Grund fällt es vielen Menschen schwer, Prioritäten in einem vielfältigen Arbeitsumfeld und in einem Job mit verschiedenen Rollen zu setzen und auch nach außen hin aufrecht zu halten; kurz „Commitment“ (Selbstverpflichtung) zu managen, ohne dass man selbst dabei den Kürzeren zieht. Daneben ergeben sich Herausforderungen in der fachübergreifenden oder interkulturellen Zusammenarbeit aufgrund von unterschiedlichen Kommunikationsstilen, Arbeitsweisen, Perspektiven und geringerer Überschneidung der Expertisen.
Im größeren Rahmen geht es darum, zu verstehen, wann und wie man sich anpassen sollte, wann man Veränderungen vornehmen wollte und wie man diese herbeiführt, sowie darum, eine gemeinsame Basis zu schaffen, um mit deren Hilfe, Menschen zur Veränderung zu motivieren und nachhaltig zur Zusammenarbeit zu bewegen.
Erkenntnisse und Methoden des Change Managements, der interkulturellen Kompetenz und der Anthropologie können helfen, für diese Problematik zu sensibilisieren und Meta-Kompetenzen zu entwickeln.
Anhand einer Simulation wurde dies in einer Peer-Group-Session mit dem Titel Gaining Common Ground thematisiert, erforscht und reflektiert.
In diesem Beitrag sollen die anthropologischen Einblicke in die menschliche Wahrnehmung von sich selbst, anderen und der Gruppe weiter vertieft werden.
Es gibt nicht die eine Realität. Wir haben zwar unser Hirn und unsere Sinne, aber niemals alle Informationen zur Hand, die wir bräuchten, um alles in jedem Moment zu wissen. Die Kunst - und Last - des Menschen ist es, die Welt mit limitierten Informationen zu haben. Dabei betreibt er Konstruktivismus, das heißt, er baut sich sein Modell zusammen auf Basis der Informationen und Eindrücke, die er hat.
Das beginnt bereits in frühester Kindheit und ermöglicht einerseits die rasante Entwicklung und das Lernen von Kindern. Ab dem Alter von vier Jahren besitzen sie die Fähigkeit zur Theory of Mind, eigene und fremde mentale Zustände wie Gedanken, Überzeugungen, Wünsche und Absichten zu erkennen und zu verstehen, um Verhalten zu interpretieren und vorherzusagen. Was zunächst mit Modellannahmen beginnt, wird bei Überzeugung der Angemessenheit als mentales Programm oder Glaubenssatz abgespeichert. Nur finden ein bewusstes Überprüfen und Hinterfragen dann nicht statt. Fehleinschätzungen und Verzerrungen, die in diesem heuristischen Prozess natürlich vorkommen, können sich also genauso manifestieren.
Wir bewegen uns innerhalb von Gruppen aller Art - von Nation und Gesellschaft bis hin zu Gemeinschaften und Arbeitsgruppen. Wir sehen uns als Teil einer Gruppe und beziehen dieses Bewusstsein in unsere Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen mit ein. Äußerst wichtig ist auch das Schaffen von Brücken zwischen Gruppen.
Erkenntnissen aus der Sozialanthropologie [1-3], am Beispiel ethnischer Gruppen, folgend, sind Gruppen dynamisch und sozial konstruiert. Eine Gruppe definiert sich dabei jedoch vor allem durch Abgrenzung. Das heißt, Gruppenidentität wird durch die Konstruktion von Unterschieden ausgedrückt. Es müssen jedoch keine realen Unterschiede zwischen Gruppen bestehen. Was zählt, ist vielmehr die wahrgenommene Besonderheit einer Gruppe im Vergleich zu einer anderen. Für diejenigen, die es wahrnehmen, spielt es jedoch keine Rolle, wie sehr ihre Meinung mit der Realität kollidiert. Einfach dadurch, dass sie es glauben, wird es zu ihrer Realität. Dies kann eine vorgestellte Gleichheit schaffen, während die Betonung von Unterschieden zu Spannung zwischen den Gruppen führen kann.
Die Umgrenzung einer Gruppe aufrechtzuerhalten, heißt, sie kontinuierlich auszudrücken und zu validieren. Das geschieht, neben sichtbaren Merkmalen, durch grundlegende Werteorientierungen, die einen Verhaltenskodex bilden. Beurteilt zu werden und sich selbst nach diesem Code zu beurteilen, schafft ein Gefühl der Zugehörigkeit. Diese Gruppenidentität wird nun für die individuelle Identität wichtig, da die Werteorientierungen auch implizieren, welche Art von Person das Mitglied dieser Gruppe ist.
Die Gruppendynamik selbst ist durch die vielfältigen, individuellen Ziele der Mitglieder geprägt. Die Herausforderung und die Notwendigkeit, eine gemeinsame Grundlage zu entwickeln, führen dazu, dass die eigentliche Teamaufgabe erst in der letzten Phase eines funktionierenden Gruppenprozesses angegangen werden kann.
Dennoch hat jede Person die Fähigkeit, ihre Identität auszuhandeln und Perspektivwechsel zwischen den Positionen zu betreiben. (Barth, 1969).
In diesem Zusammenhang bietet das Birkenbihl'sche Inselmodell eine hilfreiche Metapher, um die Verständigung zwischen unterschiedlichen Erfahrungswelten zu erklären. Laut Vera F. Birkenbihl stellt jede Person eine Insel dar, die von eigenen Bewertungen, Denkmustern, Glaubenssätzen, Bedürfnissen, Werten und Zielen geprägt ist. Diese individuellen Inseln sind durch Kommunikationsbrücken miteinander verbunden, deren Bau unerlässlich ist, um gegenseitiges Verständnis und Zusammenarbeit zu fördern. Durch den aktiven Austausch und das bewusste Brückenbauen können wir die kulturellen Unterschiede überbrücken und ein gemeinsames Verständnis entwickeln, das nachhaltige Veränderung und Kooperation ermöglicht.
Ein wichtiger Faktor dabei ist auch das kulturelle Kapital eines Menschen, ein Konzept von Pierre Bourdieu [4]. Damit sind die nicht-materiellen, aber dennoch wertvollen Ressourcen gemeint, die Menschen in einer Gesellschaft besitzen können. Es umfasst Wissen, Bildung, Fähigkeiten, sprachliche Kompetenzen, kulturelle Praktiken und ästhetische Vorlieben, die von der Gesellschaft als wertvoll angesehen werden. Diese kulturellen Eigenschaften tragen dazu bei, den sozialen Status und die Position innerhalb der Gesellschaft zu bestimmen und können von Generation zu Generation weitergegeben werden. Bildung spielt eine zentrale Rolle bei der Übertragung und Vermehrung dieses kulturellen Kapitals.
Je mehr man in analytischem Denken und kritischem Bewusstsein geschult wird, desto mehr ist man in der Lage, den eigenen Habitus (das eigene Verständnis der Welt und die Verinnerlichung der eigenen Kultur, ein anderes Konzept von Pierre Bourdieu) [4] zu hinterfragen und offen für neue Konzepte und Erkenntnisse zu sein.
Dies befähigt Personen, ebendiese Brücken zu schlagen.
Sich und andere in Schwierigkeiten mit Verständnis und Freundlichkeit begegnen
Indem wir uns selbst und andere als Menschen sehen, erkennen wir Bewertungen, Denkmuster, Glaubenssätze, Bedürfnisse, Werte, Ziele (sowohl zwischenmenschliche als auch sachliche Ziele) und Emotionen jeder Person. So können wir Menschen mit ihrer ganzen Mehrdimensionalität wahrnehmen, nicht nur so, wie sie sich gerne sehen oder erzählen. Auf diese Weise können wir Empathie für ihre Ausgangssituation und ihr Verhalten kultivieren, was wiederum die eigene Motivation zur Veränderung, Resilienz und das eigene Kohärenzgefühl fördert.
Dieses tiefere Verständnis ermöglicht Selbstmitgefühl, also verständnisvoll zu uns selbst zu sein, und gemeinschaftliche Verbundenheit, indem wir erkennen, dass wir alle Menschen sind und die Erfahrungen des Menschseins teilen. Dadurch können wir uns selbst und anderen in Schwierigkeiten mit Verständnis und Freundlichkeit begegnen.
Zurück zu den Wahrnehmungen: Stress und äußerer Druck ist auch abhängig von der Bewertung der Situation. Ein Faktor, der oft eine Rolle spielt, ist das Phänomen des People Pleasing und das Gefühl einer selbstverursachten Fremdbestimmtheit.
People Pleasing und selbstverursachte Fremdbestimmtheit entstehen, wenn wir versuchen, es allen recht zu machen, und dabei unsere eigenen Bedürfnisse und Grenzen vernachlässigen.
Der Weg aus diesem Zyklus heraus führt über das Neinsagen. Das ist zu Unrecht in unseren Köpfen häufig negativ konnotiert. Denn Neinsagen, standhaft zu sein und den eigenen Kurs zu verteidigen, widersprechen nicht Kooperation und Freundlichkeit. Es ist lediglich das Nutzen eines Kompasses auf einem Schiff, der uns auf der Zielgraden hält. Es ist etwas, was uns guttut. Warum sollte es also von anderen missbilligt werden, wenn es ja etwas ist, was wir uns auch für jede Person wünschen würden, mit der wir es gut meinen. Und nur auf solche Personen kommt es überhaupt an.
Selbstfürsorge steht demnach am Anfang - im Umgang mit sich selbst und im Umgang mit anderen.
Als innerer Kompass wirken Selbsterkenntnis und Selbstbewusstsein.
Stress doesn't come from hard work. Stress primarily comes from not taking action over something that you can have some control over.
Stress kommt nicht von harter Arbeit, Stress kommt in erster Linie davon, dass man bei etwas, über das man Kontrolle haben könnte, nichts unternimmt.
Wissen ist Macht, Wissen um sich selbst ist Supermacht. Daher ist die erste Geheimwaffe durch Edukation und Reflexion eigene, teilweise tief verwurzelte Denkmuster zu erkennen und anpassen zu lernen.
Perspektivwechsel und die Bereitschaft, neu zu denken, helfen dabei, Situationen umfassender zu erfassen, zu analysieren und die Komplexität handhabbar zu machen, durch die zu Anfang erwähnte sinnvolle Vereinfachung. Dies öffnet Türen für eine innovative Lösungsfindung.
Allein kann man zwar sich selbst, aber kaum große Vorhaben in Bewegung setzen. Das schafft man nur in Kooperation.
Eine Vertrauenskultur, sowohl zu sich selbst als auch innerhalb des Teams, bildet das notwendige Fundament für erfolgreiche Zusammenarbeit in einem Team und team- bzw. gruppenübergreifend.
Dieses Vertrauen wird geschaffen durch kontinuierlichen Brückenbau in Form von Kommunikation, Sensibilität und Empathie, um Verhalten, Interessen und Situationen wahrheitsgemäß übersetzen zu können. Je mehr Synergien und Kompetenzen geschaffen werden, die es ermöglichen, zwischen Gruppenwelten zu wandern und dabei eine eigene Position zu vertreten, desto eher kann dieses Fundament tatsächlich aufgebaut werden. Klare und konsistente sowie authentische Kommunikation ist dabei unerlässlich - Überkommunikation gibt es nicht.
Auch ohne eine konstruktive Streitkultur als Werkzeug zur Konfliktlösung kann eine Zusammenarbeit nicht wirklich funktionieren. Sie ermöglicht es, Differenzen offen und produktiv zu diskutieren, wodurch Missverständnisse reduziert und gemeinsame Lösungen gefunden werden können.
Motivieren bedeutet wortwörtlich: (Menschen) in Bewegung setzen. Das geht nur mit klaren Zielen. Auch sind individuelle wie institutionelle Schlüsselgewohnheiten, also solche Gewohnheiten, die sich durch alle Tätigkeiten und das Team und Arbeitsumfeld ziehen, entscheidend. Diese Schlüsselgewohnheiten drehen sich um einen klaren, gemeinsamen Fokus, der nicht in Frage gestellt wird. Ein solcher Fokus gibt den Menschen den notwendigen Hebel, um das Arbeits- und Kommunikationsverhalten zu verändern und transformative Veränderungen erfolgreich zu gestalten.